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Alvarado – eine kubanische Legende
By Matthias on Dienstag, 25. August 2020
Category: Standard

Alvarado – eine kubanische Legende

Vor dem kleinen, etwas schiefen Holzhaus sitzt Alvarado im Schatten einer Palme mit zwei Musikern; sie spielen den Son „Tic Tac“, zu Ehren von Antonio, der gerade eingetroffen ist. Alvarado nennt seinen 80 jährigen Freund Tic Tac, denn seinen Krückstock hört man schon von weitem: tic tac tic tac.

Die beiden anderen Musiker sind zufällig vorbeigekommene Freunde. Ein ehemaliger Polizist, der die Tres-Gitarre spielt. Und ein Rum-liebender Nachbar der auf leeren Flaschen musizieren kann. Antonio sitzt zufrieden daneben, klatscht manchmal den Rhythmus mit.

So arbeitet Alvarado fast immer - spontan und umgeben von den Menschen seines Heimatortes. Seine Texte spiegeln Ereignisse seines Alltags wieder. Leben in Pueblo Nuevo, einem Ortsteil von Mella im Osten Cubas.
Im Zentrum der Siedlung steht die große, alte Zuckerrohrfabrik und überragt alles. Sie sieht ein bißchen aus wie eine alte Kathedrale mit zwei Türmen. „Antonio J. Mella“ steht auf den Schornsteinen, der Name des Mitbegründers der kommunistischen Partei Kubas.

Alvarado hat natürlich auch ein Lied über die Central geschrieben, so nennt man hier die Zuckerrohrfabrik, von der hier mehr oder weniger alle leben. Sein Lied wird immer zur Eröffnung und am Ende der Zafra, der Zuckerrohrernte, bei einer kleinen Feier auf dem Gelände der Central gespielt. Das Lied ist ein Lob auf die Arbeiter, ein Lob auf die lebensrythmusgebende Zuckerrohrfabrik, ohne die Mella nicht existieren würde.

Der deutsche Filmemacher Hans Böffgen lernte Alvarado kennen, als er einheimische Musiker für die Filmmusik zu seinem Dokumentarfilm „El melao de cana“ suchte. Eine Dokumentation über das Leben rund um die Central. Man machte ihn auf Alvarado aufmerksam. Böffgen verwendet sein Lied über die Central im Film.

Dies war auch der Beginn einer Freundschaft. Beide sind Maler, und das gemeinsame Malen vertiefte ihre Freundschaft. Alvarados Holzhaus, vor allem der schattige Platz davor, wurde zum gemeinsamen taller (Werkstatt). Nachbarn kommen vorbei, setzen sich für Portraits und ein Gläschen Rum dazu, Musiker kommen und gehen. Auch viele Kinder kommen hier immer wieder her um zu malen.

Später wurden Böffgen und Alvarado eingeladen in der staatlichen Galerie in Santiago de Cuba eine gemeinsame Ausstellung zu machen.

Wohl jeder im Ort kennt Alvarado. Zumal er auch die „Hymne“ von Mella komponiert und getextet hat. „Soy de Mella compai“. Das kennt jedes Kind dort. Und immer wieder, wenn Alvarado mit seiner Gitarre durch die Straßen schlendert, dann rufen die Leute „Soy de Mella compai...“

Aber man kennt ihn auch in den Nachbarorten, und sogar im 80 Kilometer entfernten Santiago de Cuba. Und hin und wieder spielt die örtliche Radiostation ein Lied von ihm.

Einmal, als Alvarado und Böffgen in Santiago de Cuba auf der Suche nach Ölfarben waren, rief aus einem Auto ein Mann „Hei, Alvarado!“ Er hielt an, sie begrüßten sich herzlich. Es war der Erschaffer des monumentalen Revolutionsplatzes in Santiago de Cuba und einer der bekanntesten Künstler Kubas, der international bekannte Bildhauer und Maler Alberto Lescay. Er bat die beiden mit in sein Atelier zu kommen. Er schwärmte von Alvarados Kunst, seiner Musik, seiner Malerei und seiner Persönlichkeit.

Hin und wieder kommen Kunstsammler, vornehmlich aus den USA und Kanada nach Mella, das als wichtiger Ort für „Naive Kunst“ in Kuba gilt. Alberto Lescay gründete vor vielen Jahren ein Künstlergruppe. Sie stellten gemeinsam aus. Alvarado hat auch einige Bilder verkauft aber er verachtet inzwischen die „Marke“ Naive Kunst. Er glaubt viele Künstler malen diese Kunstrichtung einfach nach.

Alvarado selbst bezeichnet sich nicht als Naiven Künstler. Manchmal, bei Ausstellungen, wenn Kinder sagen: das Bild gefällt mir, dann verschenkt er es. Wenn aber ein Kaufinteressent ein Angebot macht, bleibt er hart bei seinem Preis. In einem in Frankreich herausgegebenen Kunstbuch wurde Alvarado als einer der wichtigen kubanischen „Naiven Künstler“ vorgestellt. Er besitzt ein zerfleddertes Exemplar dieses Buches aus den 80ern. Unbedruckte Seitenstellen sind mit Skizzen für neue Bilder übersät.

Papier ist knapp in Kuba. Alvarado hat „einige hundert“ Lieder geschrieben. In seinem taller liegen überall Zettel mit Texten, mit Liedideen. Das kann der „vertonte“ Streit mit einer Freundin sein, die Erinnerung an eine vergangene Liebe, oder ein Loblied auf einen Freund, so wie „Tic Tac“.

Alvarado ist auch Leiter eines Sextetts, alles glänzende Musiker aus Mella, die bei Festen in der ganzen Umgebung auftreten. Außerdem ist er ein ausgezeichneter Unterhalter, mit einer unglaublichen Bühnenpräsenz.

Alvarado sagt, er lebt gerne in Mella. Aber manchmal hat er doch Sehnsucht nach der weiten Welt. Dann denkt er an seine Zeit als Seemann in der kubanischen Fischereiflotte. Er kennt die Weltmeere, die Häfen in Afrika, Asien, den USA. Er trank Rum in den Hafenspelunken in Gran Canaria, Panama und Luanda. Sein Leben verbrachte er 12 Jahre auf Schiffen und immer war seine Gitarre dabei. Die hatte ihm seine Mutter versprochen, als er im jugendlichen Alter schwer erkrankte. Wieder genesen, begann er gleich seine ersten Lieder zu komponieren.

Alvarados große Liebe ist sein Trio son Alvarado, mit dem virtuosen Tres-Gitarristen Jorge Luis Reyes de Bro, und seinem Sohn, dem Bongo-Spieler Rubisley Alvarado Ramirez.

Im Jahr 2018 hat das Trio in einem Studio in Santiago de Cuba seine erste CD aufgenommen: „Una mirada fraternal“. Produzent ist Hans Böffgen. Zur gleichen Zeit drehten Böffgen und Alvarado zwei Filme und mehre Musikvideos.

Im Oktober 2019 kam Alvarado erstmals nach Deutschland, stellte in einer Frankfurter Galerie seine Bilder aus, und machte eine kleine Deutschlandtournee, kleine Konzerte und Ausstellungen. Eine zweite, größere Tour mit seinem kompletten Trio war für 2020 geplant. Wegen der Corona-Krise konnten die Termine nicht wahrgenommen werden.

Wer an der Entstehungsgeschichte des Albums „Una mirada fraternal“ Interesse hat – der gleichnamige einstündige Film „Una mirada fraternal“ zeigt Hintergründe:


(Text auf Basis einer Vorlage von Hans Böffgen; Photos Hans Böffgen)

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